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Rede anlässlich der Fachtagung organisiert durch den Pflegefamiliendienst und die zentrale Behörde für Adoption zum Thema „Besuchskontakte und die Rückführung der Pflegekinder in die Ursprungsfamilie“


Rede von Antonios Antoniadis, Minister für Familie, Gesundheit und Soziales, anlässlich der Fachtagung organisiert durch den Pflegefamiliendienst  und die zentrale Behörde für Adoption zum Thema
„Besuchskontakte und die Rückführung der Pflegekinder in die Ursprungsfamilie“

Eupen, 19. September 2014

2014-09-19 Fachtagung Pflege- Und Adoptiveltern (1) (419.8 KiB)

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich möchte Sie ganz herzlich zur heutigen Fachtagung  willkommen heißen. Die Schwerpunkte dieser Zusammenkunft werden Besuchskontakte und die Rückführung eines Pflegekindes in die Ursprungsfamilie sein. Wird ein Kind im Rahmen einer Langzeitpflege in eine andere Familie vermittelt, muss stets das Thema  einer möglichen Rückführung in die Herkunftsfamilie bedacht werden.

Allein der Begriff „Rückführung“ löst unweigerlich starke Emotionen bei den Beteiligten aus. Es handelt sich hier um ein äußerst komplexes und sensibles Thema. Es gibt hier kein Schwarz und kein Weiß. Es gibt auch nicht die eine, universal gültige Antwort auf alle Fragen. Jedes Kind ist anders, jede Herkunftsfamilie ist anders, jede Pflegefamilie ist anders. Und jede Beziehung (oder auch Bindung) ist anders.

Immer wieder muss ein bestimmter Fall also gesondert betrachtet und geprüft werden. Nach langem Abwägen aller Möglichkeiten muss am Ende eine Entscheidung gefällt werden, die beileibe nicht jedem gefällt. Das macht die Aufgabe für Sie, liebe Fachkräfte, so unglaublich schwierig.

Hoffnungen, Befürchtungen und Fragen beschäftigen und verwirren alle: die Kinder, die Pflegeeltern, die Herkunftseltern und natürlich auch die Fachkräfte.

Bei den Pflegekindern können Hoffnungen wachsen und Träume entstehen – aber auch Verunsicherungen und Ängste. Wenn ein Kind sich die Frage stellt „Wo gehöre ich wirklich hin?“, ist es schnell mit einer Fülle an möglichen Antworten und Fragen konfrontiert:  „Ich möchte in der Pflegefamilie bleiben“ – „Ich vermisse meine Eltern“ – „Was geschieht mit meiner Mutter?“ – „Meinem Vater?“ – „Meinen Geschwistern?“

Und auch für die Pflegeeltern ist die Situation ähnlich bedrückend. Vor dem Hintergrund einer möglichen Rückführung ist das Zusammenleben mit dem Pflegekind ständig bedroht. Ein Gefühl von Ohnmacht macht sich breit – Ungewissheit beherrscht sie. Und auch sie stellen sich Fragen – berechtigte Fragen: „Wir sorgen gut für das Kind, es geht ihm gut. Wieso darf es nicht bei uns bleiben? „Auf wessen Seite steht das Gesetz?“
Die Herkunftseltern hegen häufig die Hoffnung, künftig wieder mit ihrem Kind zusammenleben zu können. Manchmal herrscht in ihnen aber auch die Wut und die Überzeugung: „Es ist unser Kind, es gehört in unsere Familie.“

Und zu guter Letzt gibt es auch noch die Fachkräfte. Sie stehen vor einer großen Herausforderung. Sie sind das Bindeglied zwischen dem Kind und den beiden Familien. Dabei eint sie ein gemeinsamer Bezug, ein gemeinsames Ziel: die positive Entwicklung des Kindes.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, meine sehr verehrten Damen und Herren, aber wenn ich an die Entwicklung eines Kindes denke, habe ich das Bild eines Flusses vor Augen. Genau wie ein Fluss, ist die Entwicklung des Kindes unaufhaltsam. Mal ist die Strömung stärker, mal ist sie schwächer. Manchmal stellen sich dem Fluss Felsen oder Klippen in den Weg. Dann schlägt er gelegentlich eine andere Richtung ein, wobei er immer ein und derselbe Fluss bleibt.

Ganz auf sich allein gestellt, ganz allein in einem kleinen Boot, würde ein Kind in einem solchen Fluss wohl untergehen. Doch die Eltern sind ja da, um genau das zu verhindern. Sie führen ihr Kind durch die Gefahren, sie begleiten es. Sie bieten ihm Schutz, Halt und Geborgenheit. Ist die Strömung zu heftig, steuern sie gegen. Droht der Fluss still zu stehen, rudern sie kräftig mit. Die unerschütterliche Liebe zu ihrem Kind und ihre Erfahrung helfen ihnen dabei. Schließlich haben auch sie in ihrer Kindheit bereits den Verlauf des Flusses entdecken können.

Aus den unterschiedlichsten Gründen sind die leiblichen Eltern in einigen Fällen außer Stande, dem Kind zu helfen. Dann gibt es glücklicherweise die Pflegefamilien sowie die verschiedenen Hilfsdienste, die entlang eines sehr langen Flusses – sagen wir mal- als Anlegeplätze dienen. Die Fachkräfte haben den großen Vorteil, dass sie die gesamte Strecke überblicken können. Sie sehen also nicht nur was unmittelbar vor ihnen liegt, sondern haben einen Blick für das große Ganze. Und durch ihre regelmäßige Zusammenarbeit können sie dafür sorgen, dass das Kind, sei es in Begleitung der Herkunftsfamilie oder der Pflegefamilie bestmöglich vorankommt.

Und diese Zusammenarbeit und der Austausch der unterschiedlichen Dienste und Experten ist entscheidend. Es ist vor diesem Hintergrund sehr interessant, dass wir heute einen Fachexperten aus unserem deutschen Nachbarland begrüßen dürfen. Herr Professor Huber, ich möchte mich im Namen der Deutschsprachigen Gemeinschaft für Ihr Kommen bedanken. Ich bin überzeugt, dass Ihr Referat sehr aufschlussreich sein wird. Sicherlich werden unsere Fachkräfte heute für ihre künftige Arbeit die ein oder andere wichtige Erkenntnis erlangen. Diesen gewonnenen Erfahrungsschatz können sie dann gemeinsam im Interesse aller Beteiligten einsetzen.

Ich sprach eben von Strömungen, von Hindernissen und Anlegeplätzen. Von all dem ist eine Sache entscheidend : das Wohlergehen des Kindes im kleinen Boot.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Geschlossen.

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