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40 Jahre Grundlagengesetz


Es gilt das gesprochene Wort!

17.03.2017

40 Jahre Grundlagengesetz. (167.2 KiB)

Sehr geehrte Vertreter von Parlament, Regierung, der lokalen Behörden und Vereinigungen aus Ostbelgien und dem Inland,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

es freut mich, Sie zu diesem feierlichen Anlass begrüßen zu dürfen. Schließlich feiert man nicht jeden Tag einen 40. Geburtstag!

Als zuständiger Aufsichtsminister der Öffentlichen Sozialhilfezentren (ÖSHZ) möchte ich die Gelegenheit nutzen, im Namen der Regierung vorab einige Worte an Sie zu richten.

Wir haben uns heute einen sehr guten Tag zum Feiern ausgesucht. Denn wie Sie sicherlich wissen, ist der 17. März St. Patricks Day. Im irischen Dublin wird bereits den ganzen Tag ausgelassen gefeiert und das eine oder andere Guinness wurde zweifelsohne schon getrunken.

Das soll allerdings keine Aufforderung sein, sich auf Bier oder Wein zu stürzen. Als Gesundheitsminister empfehle ich Ihnen auch gerne einen Tomatensaft, eine Apfelschorle oder ein Wasser.

Wie Sie inzwischen alle sicherlich erfahren haben, folgt der Ministerpräsident diesem Rat, wenn er „drei, zwei, …eins trinken geht“.

Wie es der Zufall so will, wäre heute zudem der 183. Geburtstag des irischen Schriftstellers Oscar Wilde. Dieser hat einst gesagt:

„Langeweile ist eine Sünde, für die es keine Absolution gibt.“

Ich kann Ihnen versichern, uns soll heute Abend nicht langweilig werden. Uns wird angesichts der hochkarätigen Referenten auch nicht langweilig.

Meine Damen und Herren,

wir haben heute in der Tat etwas zu feiern. Auch wenn sich im ersten Moment vielleicht der eine oder andere die Frage stellen könnte, ob die Notwendigkeit der Existenz von ÖSHZ ein Grund zum Feiern ist – schließlich bestehen die ÖSHZ, weil in unserer Welt Ungerechtigkeiten bestehen.

Die ÖSHZ sind soziale Seismographen unserer Gesellschaft. Sie zeigen als erste an, wenn irgendwas nicht stimmt. Wann immer größere sozioökonomische oder demografische Herausforderungen anstehen und soziale Bedarfe entstehen, verspüren sie diese Erschütterungen und geraten in Bewegung. Sie verzeichnen die Bedarfe und werden aktiv.

Ganz einfach ausgedrückt: Die ÖSHZ fangen die Menschen auf, die durch das soziale Netz zu fallen drohen. Und das ist in einer solidarischen Gesellschaft auch gut so!

Nicht die Notwendigkeit der ÖSHZ veranlasst uns also dazu das 40-jährige Bestehen der Grundlagengesetzgebung heute zu feiern, sondern vielmehr ihr Sinn, ihre Arbeit und die Verpflichtung der politisch Verantwortlichen Menschen in sozialen Notfällen aufzufangen.

Wie es sich für Ostbelgien gehört, werden zu einem Jubiläum immer noch alte Fotoalben aus der Mottenkiste gekramt, um die vergangenen Jahre Revue passieren zu lassen. Um in Erinnerungen zu schwelgen. Erinnerungen, an die ersten Schritte und Erfahrungen, die man im Laufe der Zeit gemacht und gesammelt hat.

Und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, die ÖSHZ können auf ein sehr bewegtes und bewegendes Leben blicken.

Begonnen hat alles mit der Stunde null, dem 1. Januar 1977. An diesem Tag erblickte das ÖSHZ-Grundlagengesetz durch sein Inkrafttreten das Licht der Welt. Ich möchte gerne den ersten Artikel aus diesem Gesetz vorlesen:

„Jede Person hat ein Anrecht auf Sozialhilfe. Der Zweck dieser Sozialhilfe besteht darin, jedem die Möglichkeit zu bieten, ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Es werden öffentliche Sozialhilfezentren geschaffen, die unter den durch vorliegendes Gesetz festgelegten Bedingungen die Aufgabe haben, diese Hilfe zu gewährleisten.“

Dieser Artikel dient seit nunmehr 40 Jahren als Kompass für die Arbeit der ÖSHZ. Bis heute hat sich weder dieser Artikel noch das Gesetz verändert.

Die 9 Öffentlichen Sozialhilfezentren auf dem Gebiet deutscher Sprache haben seither bemerkenswerte Arbeit geleistet und sind aus der Dienstleistungslandschaft unserer Gemeinschaft nicht mehr wegzudenken. Ostbelgien ohne ÖSHZ, das kann und will ich mir gar nicht vorstellen.

Die Öffentlichen Sozialhilfezentren setzen sich seit 40 Jahren gezielt gegen die Armut und soziale Ausgrenzung in unserer Gesellschaft ein. Armut ist jedoch kein einfacher Begriff, den man anhand eines einzigen Fallbeispiels verbildlichen könnte.

Armut hat viele Gesichter und nimmt unterschiedliche Formen an, manche sichtbarer als andere. Diese zu erkennen und zu reagieren gehört sicherlich zu den wichtigsten Aufgaben eines ÖSHZ.

Doch im Wandel der Zeit haben sich auch die Herausforderungen an die ÖSHZ geändert. Das ist auch richtig so. Auch die ÖSHZ müssen ähnlich wie andere Institutionen mit der Zeit gehen und stets neue Antworten liefern.

In einer sich ständig veränderten und immer komplizierter werdenden Welt ist dies nicht immer einfach. Uns allen ist bewusst, dass es keine leichten Antworten gibt und dass die Sozialhilfezentren allein diese Antworten nicht liefern können.

Auf ihrem Weg werden sie von verschiedenen Organisationen und Institutionen begleitet. Das ist auch richtig so. Denn nur gemeinsam kann man die wachsenden Bedarfe bewältigen. Die ÖSHZ der 9 Gemeinden blicken daher auf ein starkes Netzwerk ostbelgischer Vereinigungen der Zivilgesellschaft und politischer Akteure zurück.

In diesem Netzwerk gelingt es durch kurze Wege und eine enge Zusammenarbeit oftmals sehr kurzfristig Lösungen zu finden. Das zeichnet Ostbelgien aus.

Auch die Regierung gehört seit 1993 sogar als Aufsichtsbehörde zu den Partnern dieses Netzwerks.

Gemeinsam mit den ÖSHZ arbeiten seither an der Förderung der sozialen Gerechtigkeit und der Vermeidung sozialer Missstände.

Wer aber ein ÖSHZ als „Armenverwaltung“ reduziert, der irrt sich gewaltig. Durch sozialberufliche Eingliederung beweisen sie, dass sie in der Lage sind, auch Perspektiven zu geben. Sie bringen Menschen in Beschäftigung und schaffen selbst Beschäftigungspotenzial.

Ein Seniorenwohnheim, alternative Wohnformen wie betreutes Wohnen und Senioren-WGs werden betrieben. Sie unterstützen das selbstbestimmte Leben der Senioren in den eigenen vier Wänden mit der Lieferung von Mahlzeiten und der Beteiligung an der häuslichen Hilfe und dem Aufbau von Seniorendorfhäusern.

Eine soziale Wäscherei wird genauso betrieben wie eine Jugendhilfeeinrichtung. Der Aufbau von sozialen Treffpunkten und Fahrdiensten wurde dank von ÖSHZ-Wirkenden auf die Wege gebracht.

Und selbst im Integrationsbereich waren und sind die ÖSHZ tagtäglich aktiv. In diesem Zusammenhang ist auch der Integrationsparcours zu erwähnen. Hier übernehmen die ÖSHZ die tägliche Begleitung der Migranten. Außerdem stellen sie bereits Räumlichkeiten für die Sprachkurse, welche die Regierung zur Förderung der Integration geschaffen hat.

All diese und weitere Dienstleistungen beweisen, wie vielfältig Engagement und Wirken der Verantwortlichen sind. Und vielleicht ist es auch an der Zeit an einen Imagewechsel zu denken.

Ich denke, dass dies für die Zukunft notwendig sein wird, um die Bedeutung der ÖSHZ der breiten Bevölkerung zu verdeutlichen. Gerade in der heutigen Zeit, in der überall auf der Welt die Solidarität zu bröckeln beginnt und viele soziale Errungenschaften auf dem Prüfstand stehen, ist es umso wichtiger, die Bedeutung und den Mehrwert der ÖSHZ als moderne Dienstleister für die breite Öffentlichkeit zu positionieren.

Die Regierung wird sie jedenfalls auch in Zukunft begleiten und unterstützen. Sowohl als Aufsichtsbehörde als auch als Partner.

Nirgendwo in Belgien ist die finanzielle Unterstützung für die lokalen Behörden im Vergleich zu den Mitteln, die uns für diese Zwecke übertragen werden so groß wie in Ostbelgien.

Während die ÖSHZ unserer französischsprachigen Nachbargemeinden jährlich 5% und die Gemeinden 95% der Dotation erhalten, bekommen die ÖSHZ in Ostbelgien das Doppelte, nämlich 10%.

Ausgerechnet auf das Jahr 2017 ergibt dies eine Summe von knapp 2 Millionen Euro, die die Regierung an die öffentlichen Sozialhilfezentren in den neun Gemeinden unserer Gemeinschaft auszahlt.

Selbst im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise haben wir trotz Sparmaßnahmen die Sozialhilfedotation nicht gekürzt. Im Gegenteil wird diese regelmäßig nach oben angepasst.

Unterstützung erhalten die ÖSHZ aber auch in anderen Bereichen. Gemeinsam möchten wir mit Ihnen wollen wir an der Weiterentwicklung der Senioren- und Integrationspolitik arbeiten. Wir arbeiten mit ihnen an der beruflichen Eingliederung, an die Fallbearbeitung von Multiproblem-Familien und –personen. Wir fördern die Beseitigung von Armut, sozialer Ausgrenzung durch Dienstleistungen und innovative Projekte.

Des Weiteren freue ich mich, dass den ÖSHZ in Kürze die Resultate der AG Novellierung ÖSHZ- Grundlagengesetz vorgestellt werden. Diese Arbeitsgruppe habe ich vor einiger Zeit eingesetzt, um das Gesetz nach 40 Jahren nochmals auf „Herz und Nieren“ zu prüfen. Ich möchte nicht zu weit vorgreifen, doch ich kann Ihnen bereits sagen, das Grundlagengesetz soll und wird vereinfacht werden. Damit meine ich, dass wir unnötiges streichen werden. Außerdem wollen wir das Grundlagengesetz dem Kodex zwischen Gemeinschaft und Gemeinden anpassen und für eine schnellere Einsetzung der ÖSHZ- Räte nach den Kommunalwahlen sorgen.

Gemeinsam sind wir in Ostbelgien aktiv und unterstützen die ÖSHZ bei ihrer oftmals sehr fordernden Arbeit.

Für diese Arbeit möchte ich mich im Namen der Regierung bei Ihnen danken. Sowohl bei den Mitgliedern der Räte als auch bei dem Personal, die vor allem auf dem Terrain und nah an der Bevölkerung tätig sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

vom Wandel der Zeit habe ich gesprochen, aber auf eine Reise durch die Zeit werde ich Sie heute nicht entführen.

Das möchte ich lieber den Historiker und Leiter des Zentrums für Regionalgeschichte in der Deutschsprachigen Gemeinschaft – heißt das schon in Ostbelgien? – Herrn Carlo Lejeune machen lassen.

In seinem Referat „Eine kleine Geschichte der Solidarität“ wird er nämlich gezielt auf die früher als Armenverwaltung bezeichnete Arbeit der ÖSHZ in Ostbelgien eingehen.

Mit Beispielen konnte ich nur ansatzweise erläutern, wie vielschichtig die Arbeit und das Publikum der ÖSHZ sind.

Deutlicher wird gleich Frau De Wilde, Forscherin der Universität Antwerpen sein. In Ihrem Referat wird sie gezielt auf die unterschiedlichen Bedarfe eingehen.

Auch auf die zunehmende Komplexität und die Herausforderungen bin ich heute eingegangen. Wie komplex sie geworden sind und welche Antworten soziale Arbeit liefern kann, darüber wird Herr Ulrich Deller, Professor für Soziale Arbeit und Kooperationsmanagement an der Katholischen Fachhochschule NRW und Präsident des ÖSHZ Raeren gleich ein wenig mehr erzählen.

Werte Anwesende,

ich könnte sicherlich noch einige Zeit weiter reden, schließlich habe ich die 50-minütige Pause gestrichen, aber wie bereits angekündigt, haben wir noch ein interessantes Programm vor uns.

Nach einer Ansprache des ÖSHZ-Präsidenten Paul Bongartz im Namen der 9 ÖSHZ wird André Goebbels durch das vielfältige Programm führen. Doch zunächst übergebe ich Herrn Bongartz das Wort.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

 

 

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