Es gilt das gesprochene Wort!
27.01.2017
20170127 NJE Der DSL (147.7 KiB)
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich habe nun das Vergnügen, als letzter Redner ein paar Worte an Sie richten zu dürfen. Das ist nicht immer einfach.
Ich werde jedoch versuchen, eine goldene Redner-Regel einzuhalten, die da lautet:
„Wenn du aufgerufen wirst zu sprechen, dann steh auf, damit dich alle sehen, sprich laut, damit dich alle hören und mach‘ schnell Schluss, damit dich alle mögen.“
Vor wenigen Wochen hat nicht nur ein neues Jahr begonnen. Nein, mit der Gründung einer Dienststelle für Selbstbestimmtes Leben in Ostbelgien hat auch eine neue Ära begonnen.
Auf dem Fundament einer 25-jährigen Tätigkeit der Dienststelle im Bereich Menschen mit Beeinträchtigung und mit der Unterstützung und dem Knowhow der Mitarbeiter und Akteure von Eudomos haben wir die Dienststelle für Selbstbestimmtes Leben errichtet.
Keiner im Saal des Triangels in Sankt Vith ahnte am 16. Januar 2015, anlässlich des Neujahrsempfangs der DPB, welche Bedeutung meine damaligen Worte ein halbes Jahr später haben würden.
Damals verglich ich die DPB mit einem Bauwerk. Ein Bauwerk, das aufgrund der Vielschichtigkeit ihrer Aufgaben mehrere Räume und Etagen hat.
Ein Bauwerk, das aufgrund der Herausforderungen unserer Gesellschaft womöglich nie vollendet sein wird. Ein Bauwerk, das ständig verändert, ständig ausgebaut werden muss.
Ich bin froh, am Bau dieses Hauses mitarbeiten zu können, habe ich damals hinzugefügt und die meisten dachten vielleicht an ein paar Fenster oder Türen.
Ich gebe zu, das dachte ich zum damaligen Zeitpunkt auch, bis ich ein paar Monate später, nachdem ich mir einen Überblick über die bestehenden und künftigen Herausforderungen verschafft hatte, mit dem Entwurf von Plänen für einen umfangreichen Um- und Anbau begann.
Neben der 6. Staatsreform, die der Deutschsprachigen Gemeinschaft umfangreiche Zuständigkeiten im Senioren- und Gesundheitsbereich beschert hat und deren Übernahme und Ausgestaltung meine Kernaufgabe in dieser Legislaturperiode darstellt, war ich konfrontiert mit dem baldigen Ende des Pilotprojektes Eudomos.
Die Zukunft des hauptsächlich vom LIKIV finanzierten Projekts war ungewiss. Ab 2018 stände der Dienst ohne Finanzierung da, die fachlich guten Mitarbeiter hätten ihren Job verloren und die Senioren und ihr Umfeld eine neutrale Beratungsstelle für zentrale Fragen der Begleitung und Pflege im Alter.
Dieses Knowhow, diesen Dienstleister zu verlieren wäre angesichts der Herausforderungen der Zukunft fatal gewesen.
Darüber hinaus galt es, die UN-Konvention zur Förderung der Inklusion voranzutreiben. Ein hehres Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt und für das es auch die nötigen Voraussetzungen geben muss.
Unter Berücksichtigung all dieser Herausforderungen und mit Blick auf die Entwicklungen im Inland, bedingt durch die Umwandlung des Föderalstaates hin zu einem Belgien mit vier Regionen – und Sie können es mir glauben, die 6. Staatsreform ist durch die Aufspaltung der Sozialen Sicherheit Vorbote davon – war es an der Zeit, den administrativen Unterbau für eine eigene DG-Soziale Sicherheit zu legen:
Der Dienststelle für Selbstbestimmtes Leben!
Die Dienststelle für Selbstbestimmtes Leben kennt keine Schubladen. Sie kennt Menschen mit Unterstützungsbedarf und berät, hilft und unterstützt, egal ob ein Bedarf angeboren, durch einen Unfall oder erst im späteren Leben altersbedingt entsteht. Das Wort Behinderung werden Sie übrigens im Dekret nur dort finden, wo es aufgrund von Rechtsverweisen verwendet werden musste. In meiner heutigen Rede taucht es nur einmal auf.
Die Förderung eines selbstbestimmten Lebens ist eine Kernaufgabe des auf Solidarität aufgebauten Systems der sozialen Sicherheit und der Sozialpolitik im Allgemeinen – gerade dann, wenn es darum geht, die Autonomie der Menschen in besonderen Situationen des Lebens zu stärken.
Verehrte Damen und Herren,
Politiker neigen gerne zu Übertreibungen, aber ich glaube nicht, dass ich übertreibe, wenn ich von einem Gesellschaftsprojekt spreche. Gerade in der heutigen Zeit gilt es mehr denn je für die Menschen da zu sein; sie ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, ihres Bildungsstands und ihrer Beeinträchtigung in ihrer Selbstständigkeit zu unterstützen.
Für die Verwirklichung dieses Projekts bekennt sich die Regierung auch zu einem entsprechenden Gesellschaftsmodell:
Die Politik möchte für die Menschen, aber mit den Menschen gestalten.
Die künftigen Aufgaben der Dienststelle für Selbstbestimmtes Leben verwalten deshalb die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, die Dienstleister, die Krankenkassen und die Zivilgesellschaft.
Es ist eine außerordentliche Ehre auf Partner mit so einem Fachwissen zurückgreifen zu dürfen und ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.
Liebe Anwesende,
der Direktor der Dienststelle sprach eben davon, dass man nun die Zukunft vorbereiten muss. Dem stimme ich zu. Was die Zukunft aber uns genau bringt, können wir nur erahnen.
Nicht umsonst pflegte auch deshalb der Schriftsteller Mark Twain mit ein wenig Zynismus zu sagen:
„Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.“
Ausgehend von den aktuellen Entwicklungen können wir mit Sicherheit sagen, dass der demographische Wandel uns einige Herausforderungen bringt.
Auf diese muss die Sozialpolitik antworten und auf diese muss auch die Dienststelle ebenfalls reagieren.
Inklusion
Zur Förderung des selbstbestimmten Lebens müssen wir die aktive Beteiligung von Menschen mit Beeinträchtigung – ob Kinder, Jugendliche und Erwachsene – weiter vorantreiben.
Dazu müssen wir die Angebote, ob in der Beratung und Begleitung im Alltag, in der Schule, der Ausbildung und auf dem Arbeitsplatz verbessern. Vor allem das Recht auf Chancen dank angemessener Vorkehrungen ist mir ein besonderes Anliegen. Deshalb schwebt mir die Verabschiedung eines Inklusionsdekretes vor.
Sprachliche und inhaltliche Anpassungen der Rechtsgrundlagen
Auch die bestehenden Rechtsgrundlagen zu den Zuständigkeiten der Dienststelle müssen unter die Lupe genommen werden. Es gilt, sie sprachlich und inhaltlich dem aktuellen und künftigen Bedarf der Menschen in Ostbelgien anzupassen.
Die meisten Texte enthalten Worte und Begriffe aus einer früheren Zeit. Doch gerade die Sprache bestimmt auch unsere Weltanschauung und somit unser Handeln.
Mit der Zeit haben sich aber auch die Anforderungen geändert. Deshalb bedarf es der inhaltlichen Anpassung von Regeltexten, so zum Beispiel der Erlass über die Zugänglichkeit von öffentlichen Gebäuden. Oder aber endlich mal die Verabschiedung einer Rechtsgrundlage für den Zugang von Servicehunden.
Senioren
Im Bereich der Senioren gilt es, den Wunsch der Mehrheit der Menschen nach einem Verweilen in den eigenen vier Wänden zu respektieren und zu folgen.
Das können wir aber nur machen, wenn wir neben der Beratung auch an der Angebotsseite arbeiten. Die häusliche Hilfe wird seit 2014 konsequent ausgebaut. Allein in den letzten zwei Jahren haben wir die Mittel um 30% erhöht.
Wir müssen ganz im Sinne eines selbstbestimmen Lebens die Wahlfreiheit fördern. Wahlfreiheit heißt aber für mich, die Wahl zwischen mehreren Angeboten zu haben, wenn es um das Thema Wohnen geht. Momentan können Senioren zwischen dem eigenen Haus und einem Seniorenheim entscheiden. Wir brauchen deshalb alternative Wohnformen, wie Senioren-WGs, Mehrgenerationenhäuser und wieso auch nicht Wohnressourcen. Das Erfolgsrezept der Angebotsvielfalt der DPB im Bereich Wohnen muss auch für diesen Lebensabschnitt gelten.
Darüber hinaus arbeite ich an einer Reform der Tagesbetreuung und anderen Unterstützungsangeboten.
Mit den Seniorenheimen entwickeln wir ein neues Finanzierungskonzept. Ein Konzept, das Planungssicherheit schafft, die Verwaltungsarbeit vereinfacht und dem Bedarf von Senioren in Ostbelgien durch gute und differenzierte Pflege besser entspricht.
Ein weiterer Aspekt sind die chronischen Krankheiten. Diese haben nicht nur aber auch Senioren. Momentan arbeitet die Dienststelle am Konzept „Gesunde DG“.
Hierbei geht es im Grunde um eine umfassende und koordinierte Bearbeitung aller Gesundheitsprobleme über den gesamten Versorgungsweg von der Primärversorgung bis zur Rehabilitation.
Auch das Thema Demenz passt hier ganz gut. Am Montag stelle ich um 19.15 im Europasaal des Ministeriums die erste Demenzstrategie der DG vor.
Gemeinsam mit dem Sektor haben wir verschiedene Handlungsfelder ausgearbeitet, die wir konzertiert angehen möchten, um mit Tabus zu brechen, die Selbstbestimmung zu fördern, die Angehörigen zu unterstützen und Angebote zu verbessern.
Stichwort Angehörige – und das verbindet oftmals – alle Zielgruppen der Dienststelle. Es ist unser erklärtes Ziel, die pflegenden Angehörigen, und somit den größten Pflegedienst Ostbelgiens, zu stärken und in ihrer Aufgabe zu unterstützen. Auch hierzu werden wir entsprechende Maßnahmen ausarbeiten.
Personalisierung des Angebots
Zu guter Letzt denke ich an die langfristige Absicht der Regierung, ganz im Sinne der Selbstbestimmung das Unterstützungsangebot für unsere Bürgerinnen und Bürger zu individualisieren.
Es geht darum, jeden Menschen dort abzuholen, wo er im Leben steht. Die Nachfrage und die individuellen Bedürfnisse eines jeden sollen fortan im Mittelpunkt stehen, nicht mehr allein das bestehende Angebot. Dadurch möchten wir sowohl die Selbstbestimmung fördern als auch die Lebensqualität der Menschen steigern.
Vor diesem Hintergrund wird die Frage sein: „Wie schaffen wir eine ideale individuelle Unterstützung?“ Empowerment, Bedarfsermittlung, Unterstützungsplanung, Weiterentwicklung des Angebotes. All diese Konzepte werden wir in den kommenden Monaten und Jahren wohl noch des Öfteren hören.
Aber genug davon für heute.
Ich möchte zum Abschluss die Gelegenheit nutzen und mich bei allen bedanken, die an diesem Projekt mitgearbeitet haben.
Außerdem möchte ich auch den Verwaltern und Mitarbeitern der Dienststelle für Ihre Arbeit danken und Ihnen alles Gute für die Zukunft wünschen.
Wir haben eine Grundlage geschaffen, aber wir befinden uns am Anfang unserer eigentlichen Arbeit. Ich kann Ihnen versichern, dass ich Sie bei Ihrer Aufgabe unterstützen werde. Nicht umsonst startet die Dienststelle bereits in 2017 und nicht erst in 2019 – nach den Wahlen.
Es ist ein Brauch, dass bei einer Geburt auch Geschenke überreicht werden.
Dieses Geschenk soll Ihren Auftrag der Förderung der Selbstbestimmung und der Solidarität begleiten. Es geht darum, Mitmenschen die Hand zu reichen!
[Minister lüftet das Tuch und somit das Geheimnis der Skulptur.]
Der Künstler Roland Groteclaes hat der neuen DSL diese Skulptur gewidmet. Beim Eintritt ins Kloster konnten Sie schon erste Eindrücke seiner Werke gewinnen. Wenn Sie also Lust auf mehr haben, können Sie gleich beim Umtrunk gerne einen Blick auf seine Ausstellung werfen.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!