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Entwicklungszusammenarbeit statt -hilfe


Rede von Antonios Antoniadis, Minister für Familie, Soziales und Gesundheit, anlässlich des Forums zur Entwicklungszusammenarbeit

20150915 Rede EZA (248.5 KiB)

15.09.2015

Sehr geehrte Damen und Herren,

kaum ein Thema beherrscht die Schlagzeilen derzeit so sehr wie die Flüchtlingskrise. Es vergeht kaum ein Tag ohne Berichte von Zeltlagern, von ertrunkenen Menschen im Mittelmeer oder von erstickten Menschen in Lastwagen. Mittlerweile hat sich noch eine hitzige Debatte über Grenzkontrollen und Verteilerschlüssel darunter gemischt.

Die überwältigende Mehrheit der Flüchtlinge sind sogenannte Kriegsflüchtlinge. Sie unterscheiden sich von anderen Kategorien der Flüchtlinge wie beispielsweise den Klima- oder Wirtschaftsflüchtlingen. Und dennoch haben sie eines gemein: sie alle sind Menschen aus Fleisch und Blut.

Es wäre ein Fehler, die aktuellen Geschehnisse unmittelbar mit der Entwicklungspolitik in Verbindung zu bringen. Es wäre jedoch ebenso falsch, sie völlig losgelöst davon zu betrachten.

Krisen schüren Ängste und Zweifel. Das gehört zu ihren tiefsten Eigenarten. Und so geschieht derzeit was immer geschieht, wenn eine Krise herrscht: Vieles wird in Frage gestellt. Im Moment steht insbesondere die europäische Außen- und Asylpolitik auf dem Prüfstand. Im letzteren Falle wohl eher deren Nichtvorhandensein.

Aber auch die Entwicklungshilfe wird gerade auf Herz und Nieren geprüft. Und deshalb sind wir heute hier. Um Fragen zu stellen, zu kritisieren, und Lösungen zu suchen. Im Jahr 2015, dem europäischen Jahr der Entwicklung, ist dies sicherlich eine sinnvolle Initiative. Denn das Jahr 2015 ist auch Jahr, in dem die Frist der 8 von der UN vereinbarten Millenniumentwicklungsziele ausläuft und Bilanz gezogen wird. Das Jahr ist natürlich noch nicht zu Ende. In manchen Bereichen wie bei der Beseitigung des Hungers oder der Senkung der Kindersterblichkeit konnten beachtliche Erfolge erzielt werden. Bei anderen Zielen liegt man jedoch weit hinter den Ansprüchen zurück, insbesondere bei der Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit. Trotz aller Fortschritte sind zur Erfüllung aller Ziele ein langer Atem und sehr viel Willenskraft erforderlich.

Meine Damen und Herren, ich möchte folgende Frage einfach mal in den Raum werfen:

Warum gibt es eigentlich Entwicklungshilfe?

Entwicklungshilfe setzt voraus, dass ein industrialisiertes Land einem strukturschwächeren Land bei dessen Entwicklung hilft. Sie setzt somit auch voraus, dass zwischen diesen beiden Ländern ein Graben klafft. Und dieser Graben wird zusehends größer, er wird zusehends tiefer.

Wir alle wissen, dass die Politik unserer Vorfahren ihr Übriges dazu beigetragen hat. Gerade wir Belgier werden immer wieder an das Erbe unseres damaligen Königs Leopold II. erinnert. Unter dem Deckmantel, die „armen Wilden“ vom Joch der Sklaverei befreien und den „dunklen Kontinenten“ mit dem Lichte der Zivilisation erhellen zu wollen, startete er damals die Expedition Kongo. Dieses einzige koloniale Abenteuer Belgiens war natürlich nur eine kleine der vielen Episoden im Wettlauf um die Vormachtstellung der Großmächte in Afrika und Asien. Aber die langfristigen Auswirkungen sind nicht von der Hand zu weisen.

Man möge sich folgende Zahlen einmal vor Augen führen: Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Belgiers liegt bei etwas mehr als 3.000 Euro, das eines Kongolesen bei 15 Euro! Bruttoeinkommen! Gerade das Beispiel Kongo gibt zu denken. Denn im Grunde genommen ist Kongo eines der reichsten Länder Afrikas, mit reichen Vorkommen an Diamanten, Öl und wichtigen Mineralen wie Coltan.

Doch wir müssen gar nicht so weit in die Vergangenheit blicken: Vor ein paar Jahren verbreiteten die somalischen Piraten am Horn von Afrika Angst und Schrecken.

Bis aufs Äußerste bewaffnet, entführten sie viele Frachtschiffe, um sich dann mit Lösegeldforderungen finanziell buchstäblich über Wasser halten zu können. Was viele nicht wissen: bei den meisten somalischen Piraten handelt es sich um ehemalige Fischer, die aus gutem Grund nicht mehr ihrem Beruf nachgehen konnten: europäische Fregatten haben die Gewässer, in denen die Somalier fischten, leergefischt. Sie haben ihnen somit ihre Lebensgrundlage weggenommen.

Ich könnte Ihnen sicherlich noch stundenlang von diesen Beispielen berichten. Wir alle wissen:

Die Krisen in den Entwicklungsländern sind nicht vollkommen selbstverschuldet. Überspitzt und etwas provokativ formuliert könnte man sagen: Es geht uns so gut….. weil es den anderen so schlecht geht.

Und wenn sich in den Köpfen der Menschen, oftmals in ganz leiser Stimme, diese Erkenntnis durchsetzt, dann kommt die Entwicklungshilfe ins Spiel. Es ist diese innere Stimme, die an unser Gedächtnis appelliert, an unsere Werte, an unsere Güte. Und dass es ganz besonders auf diese Güte ankommt, das wusste schon Goethe als er schrieb „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“

Die Eigenschaften, die er in seinem Gedicht „Das Göttliche“ zum Ausdruck brachte wohnen den meisten Menschen inne. Sie bewegen sie dazu, Gutes zu tun. Doch nicht immer führen wohlgemeinte Absichten zum Erfolg, nicht immer ist die Entwicklungshilfe auch erfolgreich.

Ein gutes Beispiel dafür waren norwegische Entwicklungshelfer. Sie halfen einem afrikanischen Stammesvolk bei einem ambitionierten Projekt des Fischfangs. Dabei unterschätzten sie jedoch Mentalität, Sitten und Gebräuche der Menschen vor Ort. Als die Männer und Frauen nämlich ein wenig Geld mit dem Fischfang verdient hatten, investierten sie es in Vieh – und nahmen ihre nomadischen Gewohnheiten wieder auf. Wenige Jahre später verschwanden die Norweger wieder.

An Spendenbereitschaft und an Geld mangelt es auch nicht. Ganz im Gegenteil. Wir müssen allerdings wegkommen von dem Irrglauben, mit Geld alleine lasse sich jedes noch so große Problem beheben.

Das erinnert mich ein wenig an die Geschichte vom Mann, der mit seinen Füßen im Wasser steht und immer mehr Handtücher fordert, um sie endlich trocken zu kriegen.

Nichts ist gefährlicher als den Menschen ein Gefühl der Ohnmacht und der Abhängigkeit zu vermitteln. Dies führt unweigerlich zu Lethargie. Dabei müssen die krisengeplagten Staaten selbst Verantwortung übernehmen, und nicht nur warten, bis die Hilfe kommt.

Fast schon gebetsmühlenartig wiederholen wir in diesem Zusammenhang das Mantra der „Hilfe zur Selbsthilfe“. Wir können diesen Menschen nur dann nachhaltig helfen, wenn wir ihnen das passende Rüstzeug mit auf den Weg geben – auf einen beschwerlichen und steinigen Weg, den sie aber in Selbstbestimmung und Unabhängigkeit selbst zu Ende gehen müssen. Nur so kann Entwicklungszusammenarbeit auch langfristig fruchten.

Immer häufiger wird von Entwicklungszusammenarbeit statt von Entwicklungshilfe gesprochen. Und auch wenn beide das gleiche bedeuten, so finde ich den Begriff EZA passender. Denn Zusammenarbeit bedeutet Gleichberechtigung, Zusammenarbeit bedeutet, gemeinsam Ziele zu setzen und sie anzugehen. Wir sollten den Hilfsbedürftigen Ratschläge erteilen statt ihnen unsere Meinung aufzuzwingen. Wir sollten sie entscheiden lassen, was sie für sinnvoll halten, statt es ihnen vorzugeben. Wir sollten ihnen eine Brücke errichten, um den tiefen Graben zu überqueren und ihnen dann dabei helfen, diese Kluft zu schließen.

Es wäre arrogant und töricht zu behaupten, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft DEN richtigen Ansatz bei ihrer Entwicklungspolitik verfolgt. Aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass unsere finanziellen Mittel in diesem Bereich überschaubar sind. Wir können es uns nicht leisten, großen Organisationen umfangreiche Summen an Geld zu spenden. Wirksamer als einfache Geldtransfers ist es, Handelshemmnisse konsequent abzubauen, damit die armen Länder Güter exportieren können. Außerdem muss viel mehr Wert auf die Dinge gelegt werden, ohne die Entwicklung nirgendwo in der Welt möglich ist.

Ich denke hier an

  • den Ausbau von Straßennetzen und Infrastruktur
  • aber allen voran an die Bildung.

Und da setzt auch die DG an. Seit vielen Jahren unterstützen wir hiesige Organisationen bei der Durchführung gezielter Projekte in strukturschwachen Regionen des Südens. Ziel ist es, gemeinsam mit den Menschen vor Ort Strukturen aufzubauen und bessere Perspektiven zu schaffen, mit wenig Bürokratie. Wir möchten den Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Leben eröffnen.

Wir alle können viel tun, um die Armut in der Welt zu lindern. Auch über die Entwicklungszusammenarbeit hinaus. Wir sind nicht alleine auf dieser Welt sind. Wir teilen sie mit anderen Kulturen. Auch wir tragen eine Verantwortung für die Welt, in der wir leben.

Natürlich muss in erster Linie ein Umdenken in den Köpfen der Industrie stattfinden. Die großen Unternehmen mit quasi Monopolstellungen sind es, die einen deutlichen Unterschied machen könnten, wenn sie denn wollten.

Aber auch ein jeder von uns kann seinen eigenen Beitrag leisten, so bescheiden er auch ausfallen mag. Das beginnt in unserem Alltag, mit einer bewussten Entscheidung vor dem Lebensmittel- oder Kühlregal im Geschäft zum Beispiel.

Man hört oftmals fatalistischen Stimme, die sagen : „Was kann ich alleine schon bewegen?“. Denen möchte ich abschließend ein ganz tolles Zitat der amerikanischen Ethnologin Margaret Mead ans Herz legen:

„Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann – tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde.“

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